Halbschlittenprothese vs. Knieendoprothese
Interview mit Priv.-Doz. DDr. Maximilian Kasparek, MSc
Viele Patient*innen stehen vor der Frage: Halbschlittenprothese oder vollständige Knieendoprothese? Beide Optionen haben Vor- und Nachteile – und die Entscheidung hängt von individuellen Faktoren ab. Ein Gespräch mit Dr. Kasparek beleuchtet, worauf es wirklich ankommt.
Nach einem Kreuzbandriss entscheidet nicht der Zufall, sondern die richtige Therapie über Ihre sportliche Zukunft.
1. Was genau ist eine Halbschlittenprothese und wie unterscheidet sie sich von einer kompletten Knieendoprothese?
Eine Halbschlittenprothese (häufig auch „unikompartimentelle Prothese“) ersetzt nur einen Teilbereich des Kniegelenks, etwa den inneren oder äußeren Kompartiment. Bei der vollständigen Knieendoprothese (Totalendoprothese) wird das gesamte Gelenk ersetzt – alle Kompartimente. Der große Unterschied liegt darin, wie viel gesunde Strukturen erhalten bleiben. Der Halbschlitten ist weniger invasiv, oft kürzere Operationszeit und potenziell schnellere Genesung – aber er eignet sich nicht für jedes Kniebild und jede Arthroseform.
2. Wann raten Sie zu einer Halbschlittenprothese, und wann ist eine Totalprothese die bessere Wahl?
Ich wäge mehrere Dinge ab: Wie stark die Arthrose ausgeprägt ist, wie viele Kompartimente betroffen sind, wie stabil das Gelenk ist und wie aktiv die Patient*innen sind. Wenn nur ein Kompartiment betroffen ist, wenig bis keine Fehlstellung vorliegt und die anderen Anteile von Knorpel und Knien gesund sind, dann ist eine Halbschlittenprothese ideal. Bei fortgeschrittener Gelenksdegeneration in mehreren Kompartimenten, instabiler Gelenkführung oder starkem Deformitätsgrad ist die Totalendoprothese oft die sicherere und langfristig bessere Wahl.
3. Wie unterscheiden sich Reha-Vorlauf, Mobilität und Alltagserfahrung zwischen Halbschlitten und vollständiger Knieprothese?
Patient*innen mit Halbschlitten erleben häufig einen etwas schonenderen Einstieg: weniger Gewebstrauma, geringere Schmerzen postoperativ, oft kürzere Krankenhaus- und Reha-Zeiten. Das führt dazu, dass sie schneller Vertrauen in das Knie zurückgewinnen sowie Alltag und leichte sportliche Aktivitäten früher wieder aufnehmen können. Eine Totalprothese bietet in der Regel eine sehr große Schmerzfreiheit und Stabilität – allerdings mit meist längerem Reha-Prozess und konsequenterem Aufbau.
4. Gibt es technische Innovationen, die gerade bei Halbschlittenprothesen besonders relevant sind?
Ja, definitiv. Roboterassistierte Systeme sind ein großes Thema: Sie helfen, das Implantat exakt zu positionieren – gerade beim Halbschlitten wichtig, weil schon geringe Fehlstellungen einen größeren Einfluss haben. Auch Navigationsverfahren und minimalinvasive Zugänge spielen eine Rolle, um das umliegende Gewebe möglichst zu schonen.
5. Wie lange hält eine Halbschlittenprothese typischerweise – und wie ist der Wechsel zu einer Totalprothese, wenn nötig?
Bei guter Operationstechnik, konsequenter Nachsorge und passender Auswahl der Patient*innen können Halbschlittenprothesen 10 20 Jahre halten oder länger. Wenn später eine Totalendoprothese nötig wird, ist das meist machbar – allerdings kann die Operation komplexer sein, da Gewebe- und Knochenverhältnisse verändert sind. Wichtig ist, dass der Wechsel gut geplant wird.
6. Welche Einschränkungen oder Risiken gibt es speziell bei Halbschlittenprothesen?
Eine Halbschlittenprothese eignet sich nicht für jedes Knie. Wenn sich die Arthrose später auch auf andere Bereiche des Gelenks ausweitet, können erneut Beschwerden auftreten. Auch bei Fehlstellungen oder starker Instabilität ist ein Halbschlitten nicht die ideale Lösung. Die Technik ist anspruchsvoller – deshalb braucht es präzise Planung und Erfahrung in der Anwendung. Mit der richtigen Indikation und OP-Technik lassen sich sehr gute Ergebnisse erzielen, aber die Auswahl muss sorgfältig getroffen werden.
7. Wie beraten Sie Patient*innen in Bezug auf Sport nach einer Halbschlittenprothese vs. Totalprothese?
Ich lege großen Wert auf realistische Erwartungen. Mit einer Halbschlittenprothese sind gelenkschonende Sportarten oft früher möglich: Schwimmen, Radfahren, Nordic Walking etc. Eine Totalprothese erlaubt oft ebenso Sport, aber der Wiedereinstieg braucht Zeit, gute muskuläre Stabilität und ärztliche Freigabe. Krafttraining, Balanceübungen und gezielte Funktionstests sind dabei entscheidend.
8. Welcher Zugang oder welche Operationstechnik empfehlen Sie – und in welchen Fällen?
Beim Knie kommt häufig die roboterassistierte Kniechirurgie zum Einsatz – insbesondere bei Halbschlittenprothesen – um mögliche Fehlerquellen zu minimieren. Bei Totalendoprothesen lege ich großen Wert auf minimalinvasive Zugänge, eine präzise Ausrichtung und die passende Implantatauswahl. Der operative Zugang wird dabei stets individuell gewählt – abhängig von der Anatomie und den Begleitverhältnissen des Patienten.
In den letzten Jahren haben wir deshalb die Ursprungsknie-Technik für Totalendoprothesen entwickelt. Diese innovative Operationstechnik, die Prim. Univ.-Doz. Dr. Thomas Müllner, PhD und ich gemeinsam entwickelt haben, rekonstruiert die individuelle Biomechanik und Anatomie des Knies vor der Arthrose und ermöglicht dadurch ein natürlicheres Kniegefühl nach der Operation.
9. Wie beeinflusst Alter, Gewicht oder Begleiterkrankungen die Entscheidung?
Alter allein ist kein Ausschlusskriterium. Ein gesunder, aktiver 75-Jähriger kann eine hervorragende Kandidatin sein für Halbschlitten oder Totalprothese. Gewicht und Begleiterkrankungen sind wichtiger: starkes Übergewicht belastet das Gelenk zusätzlich und kann Komplikationsrisiken erhöhen. Vor der OP arbeite ich oft mit Patient*innen an Gewichtsreduktion und Muskelstärkung, um die Erfolgschancen zu verbessern.
10. Was würden Sie Patient*innen mit auf den Weg geben, die vor der Entscheidung stehen zwischen Halbschlittenprothese und Knieendoprothese?
Vertrauen Sie auf eine ausführliche Diagnostik und eine individuelle Planung. Meine Aufgabe ist es, gemeinsam mit Ihnen die Prothese auszuwählen, die Ihnen die beste Lebensqualität ermöglicht – langfristig, sicher und stabil. Ob Halbschlitten oder Totalprothese: Die Entscheidung hängt nicht nur von der Röntgenaufnahme ab, sondern vom Menschen. Deshalb ist es mir wichtig, Zeit zu investieren, Fragen zu klären und aufzuklären – damit Sie sich mit einem guten Gefühl entscheiden können.
Fazit: Halbschlitten oder Knieendoprothese? Ein Vergleich im Überblick:
Merkmal | Halbschlittenprothese | Knieendoprothese (Totalprothese) |
---|---|---|
Was wird ersetzt? | Nur ein Teil des Kniegelenks (ein Kompartiment) | Das gesamte Kniegelenk |
OP-Aufwand | Kleinerer Eingriff, minimalinvasiv | Umfangreicherer Eingriff |
Reha-Zeit | Oft kürzer, schnellere Mobilisierung | Etwas längere Reha-Phase |
Beweglichkeit | Sehr gute Beweglichkeit, oft natürlicheres Gefühl | Sehr gute Stabilität, geringeres Risiko für Spätfolgen |
Einschränkungen | Nicht bei fortgeschrittener Arthrose geeignet | Auch bei komplexen Schäden einsetzbar |
Langzeitergebnisse | Sehr gut bei richtiger Indikation | Sehr gut bei sorgfältiger Planung und Reha |
Sport & Alltag | Viele Aktivitäten wieder möglich, v. a. gelenkschonend | Ebenfalls gute Rückkehr in den Alltag und Sport möglich |
Nachteil | Risiko der Arthrose in anderen Gelenksanteilen | Höherer Gewebeaufwand beim Eingriff |
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